Keine normalen Arbeitstage im Ludwigspark
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Martin Welker steht auf der Baustelle im Saarbrücker Ludwigsparkstadion und hat die Hände in die Hüften gestützt – ein Bild mit Seltenheitswert, denn der 51-Jährige hat sich mit Haut und Haaren dem Projekt „Sanierung im Bestand“ verschrieben und arbeitet sozusagen „unter Volllast“. Foto: Andreas Schlichter
Saarbrücken Martin Welker hat seit gut zwei Wochen das Sagen auf der Baustelle Ludwigsparkstadion. Der 51-Jährige versucht Tag für Tag, sich einen kompletten Überblick zu verschaffen, und stößt immer wieder auf Überraschungen.
Von Patric Cordier
Er ist der „neue Besen“. Und damit er besser kehren kann, hat er sein Büro vom Container am Rand der Baustelle in eine der halbfertigen Logen auf der neuen Haupttribüne verlegt. Seit gut einer Woche hat Martin Welker nun das Sagen beim bekanntesten und bislang wohl peinlichsten Bauprojekt des Saarlandes: dem Saarbrücker Ludwigsparkstadion. „Man muss halt versuchen, sofort seine Marschzahl vorzugeben“, beschreibt Welker seine Herangehensweise in den ersten Tagen, „es gab Dinge, die mir nicht gefallen haben. Und da habe ich schon versucht, meinen eigenen Zug in die Baustelle reinzubringen. Das geht nicht immer konfliktfrei.“
Welker bläst hörbar Luft aus den Lungen und ergänzt: „Es hat schon an einer straffen Führung gefehlt. Ich gebe mir Mühe, dass wir die jetzt haben.“ Welker gilt als Mann mit klarer Kommunikation. „Ich kann ein harter Hund sein. Muss ich manchmal. Aber auf der Baustelle ist der Ton eh etwas rauer. Da geht es auch mal laut zu. Man muss die Leute entsprechend ansprechen. Es gibt welche, die wollen nur eine Auskunft. Andere sind unwillig oder diskutieren, das Rohr anders zu legen, oder gar nicht zu legen oder so, dass sie das doppelte Geld dafür bekommen. Das bringt alles nichts. Ich sage ihm dann, dass er das Rohr nach Plan legt. Und wenn er dann immer noch nicht will, dann legt es ein anderer.“
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Fans demonstrieren mit Menschenkette
Sie haben die Schnauze voll – und sie wollen das zeigen. Die Fans des 1. FC Saarbrücken und der Saarland Hurricanes (Football) werden an diesem Samstag ab 12 Uhr eine Menschenkette um die Baustelle Ludwigsparkstadion bilden, um damit den Druck auf die Verantwortlichen zu erhöhen. Beide Vereine stehen nun seit fast fünf Jahren ohne echte Heimspielstätte da. „Niemand will nach Frankfurt zu Heimspielen“, sagt FCS-Fan und Demo-Organisator Patrik Scholler, der bereits vor zwei Jahren mit einer Protestaktion vor dem Rathaus Aufmerksamkeit erregt hat: „Es gab jetzt auch einen offenen Brief und eine Online-Petition. Wir werden nicht aufgeben.“ Scholler hofft, dass sich möglichst viele Fans unter Einhaltung der Hygienevorgaben per Fanschal verbunden ums Stadion einfinden.
Es ist Welker anzumerken, dass er in der Aufgabe aufgeht. Wenn er erzählt, leuchten seine Augen. Anders als man es von Juristen landläufig erwartet, sind seine Ausführungen zwar detailliert, aber auch für Bau-Laien verständlich und nachvollziehbar. Auch, dass die erste Woche für den neuen „Herrn der Baustelle“ nicht lange genug war. „Den kompletten Überblick habe ich noch nicht. Es wäre auch eine Illusion zu glauben, es kommt jetzt jeder und gibt mir alle Informationen. Damit hatte ich auch nicht gerechnet, also laufe ich hin und frage“, räumt er ein, „die ein oder andere Detailplanung fehlt noch. Es ist schwierig, zu bauen, zu planen, parallel nachzuziehen und gleichzeitig wieder weiter auszuschreiben. Das entspricht nicht den Regeln der Kunst, wie man es normalerweise macht.“
Nachziehen ist der Fachbegriff für Nachbesserungen und Korrekturen, die auf jeder Baustelle im Betrieb auftreten und „Tagesgeschäft“ sind. „Plananpassungen bis zum Schluss sind nicht ungewöhnlich. Hier haben sie aber ein außergewöhnliches Ausmaß“, muss Welker feststellen. Dass beim Umbau des Ludwigsparkstadions zahllose Fehler gemacht wurden, ist nicht wegzudiskutieren. Dennoch nimmt Welker seine Vorgänger auch in Schutz. „Für vieles, was schiefgelaufen ist, gab es Gründe. Gründe, die die Leute einfach nicht in der Hand hatten. Es wäre nicht fair zu sagen, es war alles nur Murks“, sagt der neue Chef der GIU, „eine Bauverwaltung kann eine Bauherrenfunktion wahrnehmen. Aber einen Bau managen, das kann sie aus meiner Sicht nicht. Leute aus der Verwaltung sind es nicht gewohnt, sich hinzustellen und Leuten knallhart zu sagen, wo es langgeht.“
Welker war bereits zu Beginn des Projekts mal eingebunden. „Den Abriss habe ich ja noch mitgemacht. Und die Erdarbeiten. Das hat noch gut funktioniert, sowohl zeitlich als auch im Kostenrahmen. Dann habe ich noch die GÜ-Ausschreibung gemacht.“ Die Ablehnung der Vergabe an einen Generalübernehmer (GÜ) durch die Politik ist für Welker bis heute „eines der großen Grundübel. Die Vergabe an einen GÜ wäre für dieses Projekt die bessere Entscheidung gewesen. „Ganz klar: Je komplizierter eine Baustelle ist, umso besser ist es, wenn sie zentral koordiniert wird.“ Über die Einzelausschreibungen hätte es auch klappen können, „aber man hat es ja bis zum Exzess getrieben. Wir haben beispielsweise fünf Schlosser. Ich habe Tage gebraucht, bis ich wusste, wer welches Geländer macht. Da musst du die Nerven behalten.“ Ein Beispiel im Kleinen, das im Großen auch für verschiedene Planungsbüros gilt. Dadurch kam es letztlich auch zu den bekannten Problemen mit vergessenen Kühlräumen oder Nebengebäuden für die Technik.
Welker hat sein „Handwerk“ von der Pike auf gelernt. „Ich bin von der Baustelle zur Juristerei gekommen. Ich habe als Schüler auf Baustellen gearbeitet, habe später Wirtschaftsingeneurwesen studiert und dann noch Jura dazugenommen“, erzählt Welker, der Fachanwalt für Vergabe- und Baurecht ist. Er kennt sich aus, wenn es um Vertragswesen oder Vergabenachprüfungsverfahren geht. Oder um das Erkennen und die Beseitigung von Mängeln.
„Sie müssen wissen, was es werden soll. Sie müssen ein Leistungsverzeichnis lesen können. Noch besser ist es, wenn Sie einen Plan lesen können, sonst können Sie nicht beurteilen, ob plangerecht gebaut wurde“, sagt Welker, „wenn es ganz gut ist, wissen Sie auch, wie es richtig geht, wenn es falsch war.“ Wie in der vergangenen Woche, als Welker den Korrosionsschutz an den aufbereiteten Flutlichlichmasten bemängelte und die Firma kurzerhand zum Nacharbeiten anhielt.
Oder wie 2006, als Welker in einem Team maßgeblich mitarbeitete, das aus dem Fritz-Walter-Stadion in Kaiserslautern auf den letzten Drücker doch noch eine WM-Spielstätte machte. „Wir haben es hingekriegt“, sagt er lapidar, „die hatten einen Generalunternehmer, aber dann ging es los mit Insolvenzen. Wir mussten dann Notstützen einbauen wegen Rissen in den Trägern der Tribünendächer. Es ging am Schluss mit Provisorien, was die Leute Gott sei Dank nicht bemerkt haben. Vielleicht habe ich die Hälfte vergessen, aber die Baustelle Ludwigspark ist anspruchsvoller.“
Der 51-Jährige ist „ledig, keine Kinder. Das macht die Sache einfacher.“ Denn Welkers Arbeitswoche hat mindestens sechs Tage. „Ich bin vielleicht nicht morgens der Erste auf der Baustelle, aber abends der Letzte. Einen normalen Arbeitstag gibt es hier nicht. Das muss sich vielleicht auch einschleifen.“
Die Fundamente für die umstrittenen Nebengebäude sind mittlerweile ausgehoben, der Bau soll am Montag beginnen. Am Dienstag beginnen die Einweisungen für Arbeiten am Rasen. „Es muss hier alles parallel laufen, da kann ich nicht sagen, irgendwas hat Priorität“, sagt Welker, „beispielsweise beim Brandschutz. Da war jetzt jemand da, hat sich das angeschaut, und wir müssen das jetzt umsetzen.“
Weil die fünf Tonnen schweren Fluchttreppen zum Innenraum verspätet angeliefert wurden und weil die Trainerbänke nun doch abgesenkt werden sollen, mussten die Pflasterer zunächst die Tätigkeiten vom Innenraum auf den Außenbereich verlagern. Nun kommt der Rasenbauer hinzu. Die Koordination der Abläufe erscheint hochkomplex, wie die Lagerung und Anlieferung des Baumaterials. Aber es gibt auch weniger dringliche Arbeiten. „Die Montage der Sitzschalen. Die Leute werden nach Stückzahl bezahlt. Warum sollte ich da Druck machen? Da hat niemand was davon.“
Den Kopf frei bekommt Welker in der Werkstatt. „Ich baue gern an Autos und Motorrädern“, sagt der Mann, der sein denkmalgeschütztes Haus selbst renoviert hat, „ich habe 13 Motorräder, darunter eine DKW von 1938. Ich habe drei Lanz Bulldog (klassische Traktoren, Anmerkung der Redaktion) und einige Autos, die meinem Alter entsprechend zum Teil auch H-Kennzeichen haben.“ Das aktuelle Projekt ist ein Porsche 911.
„Das Schlimmste, was ich mir vorstellen kann, ist: Das Stadion ist fertig, und es ist leer oder halbvoll“, sagt Welker zum beruflichen Großprojekt, „wir bauen das Stadion nicht für uns. Wir bauen für die Fans, und die müssen dann auch alle kommen.“ Wann das sein wird? „Die Frage kommt zu früh. Es ist ein Unterschied, ob man eine Tribüne im Betrieb hat oder vier. Ob ich Catering brauche oder nicht. Jede Antwort ist unseriös“, sagt Welker, „wir sind weiter vor Überraschungen nicht sicher.“ Wie eine fehlende Unterschrift bei einem Angebot eines Unternehmens. „Das gab es und hat uns im Vergabeverfahren weit nach hinten geworfen, denn fast alles muss europaweit ausgeschrieben werden“, sagt Welker und bekennt: „Der Druck auf dieser viel beachteten Baustelle ist natürlich höher, aber darum auch der Ansporn. Die erste Woche war jetzt noch schwach. Aber nächste Woche wird die Schlagzahl erhöht.“ Der neue Besen kehrt.
Quelle: https://www.saarbruecker-zeitu…park-stadion_aid-52260857